Im Zweifel: unten bleiben (2024)

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Von: Wolfgang Hauskrecht

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Im Zweifel: unten bleiben (1)

Warum Reiseveranstalter Dominik Müller vor allem für die nepalesische Südroute schärfere Regeln fordert.

Es gibt 20 Routen, die auf den höchsten Berg der Welt führen. Aber nur zwei sind massentauglich: die Nordroute über Tibet und die Südroute von Nepal aus. Die Südroute ist es, die derzeit im Fokus steht. Zehn Menschen starben hier, auf der Nordroute war es einer. Herzinfarkt. „Das war einfach Pech“, sagt Dominik Müller. Er ist Chef von „AMICAL alpin“ in Oberstdorf im Oberallgäu, dem einzigen deutschen Veranstalter, der Touren zum Mount Everest anbietet. Die nächste Tour ist 2020 geplant. „Das Höhenbergsteigen ist in der Gesellschaft angekommen“, sagt Müller. Und viele hätten das nötige Geld.

Der Profibergführer war selbst schon auf dem Everest. Auch 2020 will er bis zum Gipfel mitgehen – über die Nordroute. Denn was in Nepal abgeht, ist auch ihm nicht ganz geheuer. „Es sind immer mehr Leute unterwegs, denen die technischen Fähigkeiten fehlen.“ Grundsätzlich, sagt er, könne schon jeder den Everest besteigen. Aber eben nur, wenn er körperlich fit und entsprechend vorbereitet sei. „Entscheidend ist: Warst du schon mal in größerer Höhe, kennst du deinen Körper, weißt du, mit welcher Nahrung du Leistung bringen kannst? Wir sind dort in einer lebensfeindlichen Umgebung.“ Schon der Toilettengang bei 40 Grad minus sei eine Herausforderung. Ein Problem sind laut Müller schlechte Veranstalter. „Viele Einheimische sprechen sich ab. Dann gehen mehrere Veranstalter amselben Tag. Man geht nicht mehr antizyklisch – und das wird in der Summe schnell gefährlich.“

Lesen Sie dazu unser Interview mit Mount-Everest-Bezwinger Hans Kammerlander: „Der Berg kann zur Bestie werden“

Müller wählt seine Teilnehmer genau aus. Es gebe viele Gespräche, auch das Thema Tod komme auf den Tisch, sagt Müller. Finden sich nicht genug geeignete Teilnehmer, werde die Expedition abgesagt. „Das ist zwar schlecht fürs Geschäft, aber hier geht es um Leben. Dieser Verantwortung muss man sich als Bergführer bewusst sein.“

Müller geht über Tibet. Dort gibt es klare Regeln. Maximal 300 Genehmigungen werden erteilt, jeder muss einen Sherpa haben. „Die Chinesen wollen das Risiko gering halten.“ In Nepal gibt es keine Beschränkungen. Viele Arbeitsplätze hängen dort am Everest, vom Hotel bis zum Sherpa. Das bringe die Regierung unter Zugzwang.

Mit dem Heli ins Hotel

So treibt das Everest-Event bunte Blüten. Die Basislager, sagt Müller, würden immer komfortabler. „Es gibt Premium-Veranstalter, die fliegen Kunden bei schlechtem Wetter ins Fünf-Sterne-Hotel und dann wieder ins Basislager. Das verleitet Leute mit Geld zu sagen, das kann ich auch. Das ist ja ganz gechillt hier.“

Den Berg zumachen, das will Müller nicht. Er ist für schärfere Regeln. „In Tibet geht das in die richtige Richtung. Aber es muss noch weitergehen. Dass man Erlaubnisse nur an Leute vergibt, die schon auf einem Siebentausender waren und nicht an Leute, die erst im Basislager lernen, ein Steigeisen anzulegen. Oder am Berg den Helm verkehrt herum anhaben.“ Viele kämen als Anfänger zum Mount Everest. „Die haben Zeit und das Geld, aber nicht das Können. Das muss man mehr hinterfragen. Das sind die, die dann alle anderen in Gefahr bringen.“ So oder so, wer den Everest bezwingen will, riskiert immer sein Leben. „Wir können das Risiko nicht auf Null drücken.“

Tödliche Abenteuerlust am Mount Everest

Vier Inder, zwei US-Amerikaner, zwei Iren, ein Österreicher, ein Brite, ein nepalesischer Bergführer. Elf Menschen blieben in diesem Jahr am Mount Everest zurück. Der Brite Robin Fisher schrieb auf Instagram von den Massen, die zum Gipfel drängen. Etwa 100 Kletterer seien in zwei Tagen aufgebrochen, „mit traurigerweise zwei Toten, einem Inder, der tot in seinem Zelt gefunden wurde, und einem vermissten Iren“. Fisher wollte den Stau vermeiden. Am 25. Mai brach er auf, erreichte den Gipfel. Kurz darauf kollabierte er und starb.

Der Nepalese Chatur Tamang berichtete von erschöpften Bergsteigern, die sich ans Seil klammerten oder zusammenbrachen. „Ich habe gesehen, wie Sherpas ihre Kunden vom Gipfel herunterschleppten.“ Der Bergführer Tshering Lama forderte, nur noch erfahrene Bergsteiger auf den Everest zu lassen. An die 800 Menschen erreichten heuer das Dach der Welt, in etwa so viele wie vergangenes Jahr. Jedoch an weniger Tagen.

Über 300 Bergsteiger kamen bereits am Everest ums Leben. Nur ein Drittel wurde geborgen. Oberhalb von 7500 Metern ist eine Bergung zu teuer und gefährlich. Auf dem Weg kommt man deshalb an gefrorenen Leichen vorbei. „Leichengasse“ nennen Sherpas die Passage.

Manche Leiche dient als Wegmarke, zum Beispiel „Green Boots“, so genannt wegen seiner neongrünen Bergschuhe. Vermutlich handelt es sich um den Inder Tsewang Paljor, der 1996 auf der Nordroute im Schneesturm starb. 2014 verschwand seine Leiche, womöglich wurde sie in die Tiefe geworfen. Eine andere Wegmarke war die Deutsche Hannelore Schmatz, die 1979 auf 8300 Metern sitzend einfror. 1984 starben zwei Nepalesen beim Versuch, sie zu bergen. Jahrelang saß Schmatz mit offenen Augen und wehendem Haar da. Vermutlich kippte ein Sturm sie dann über den Grat. Auch Robin

Fisher wird wohl oben bleiben. Die Leiche des Briten liegt mit Seilen gesichert direkt an der Südroute.

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